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Innerer Gehorsam

Liebe spirituellen Schwestern und Brüder, liebe Sucher der höchsten Wahrheit, ich möchte einen kurzen Vortrag über Gehorsam aus spiritueller Sicht halten.

Gehorsam ist ein Leben des Zwangs: Gehorsam bedeutet, dass sich der Unterlegene dem Überlegenen unterwirft. Das ist die Erkenntnis eines gewöhnlichen, nicht strebenden Menschen. Der Gehorsam jedoch, über den ich reden werde, ist der innere Gehorsam. Dieser Gehorsam ist die bewusste Wahrnehmung unseres höheren Lebens, unserer höheren Wirklichkeit und unserer höheren Höhe. Dieser Gehorsam ist die Erlangung des wahren Wissens. Wenn wir einem höheren Prinzip, einem höheren Gesetz folgen, werden wir erkennen, dass wir ewig im ewigen Jetzt leben.

Ein Kind gehorcht seinen Eltern. In seinem Gehorsam wandelt es auf dem Pfad der Wahrheit, des Lichts und der Schönheit. Obwohl es in seinem äußeren Leben voller Angst sein mag, nähert sich sein inneres Leben dem Ziel der Vollkommenheit. Im spirituellen Leben sind wir alle spirituelle Kinder. Als aufrichtige Sucher werden wir zu demütigen Kindern und hingebungsvollen Instrumenten Gottes; wir hören auf die Stimme des Inneren Piloten, der unser Schicksal lenkt und uns auf Seine eigene Weise formt. Wenn wir tief nach innen gehen, fühlen wir, dass wir ein getreues Ebenbild Seines Wesens sind. Wir gehorchen unserem Inneren Piloten, nicht weil er all-mächtig ist, noch, weil wir fürchten, Er könne uns bestrafen, wenn wir Ihm nicht gehorchen. Nein, unsere Erkenntnis ist eine andere. Unsere erleuchtete Liebes-Kraft will mit Seiner unendlichen Liebe und Seinem unendlichen Licht eins sein. Wir gehorchen Ihm, weil Er reine Liebe ist.

Aus spiritueller Sicht ist Gehorsam unsere Selbst-Hingabe an das erleuchtete Bewusstsein. Das individuelle und persönliche Bewusstsein, das wir verkörpern, ist sehr begrenzt. Aber wir können unser individuelles, persönliches Leben einer Sache anerbieten, die universell ist. Dann wird aus dem Begrenzten etwas Universelles und Unbegrenztes. Wir sind ein Funke des göttlichen Lichts. Wenn wir in die unermessliche Sonne eintreten, dann anerbieten wir unserer höchsten Quelle unsere individuelle Persönlichkeit und dann werden wir zu einem festen Bestandteil dieser unermesslichen Sonne des Universellen. Wir gehen vom Endlichen zum Unendlichen; wir gehen vom Unendlichen zum transzendentalen Absoluten, wo alles universelles Einssein ist.

Unsere Füsse tragen uns zur Schule, wo wir mentales Wissen und Weisheit erwerben. Dies ist möglich, weil die Füsse und der Verstand untrennbares Einssein entwickelt haben. Nicht aus Gehorsam, sondern aus einer inneren Notwendigkeit heraus sind sie einander behilflich. Meine Beine werden meinem Verstand zu Diensten sein, wenn es ums Lernen geht, und wenn es ums Laufen geht, werden mein Verstand und mein Herz mit ihrer bewussten Anteilnahme und Willenskraft meinen Beinen zu Hilfe kommen. Gehorsam ist unsere bewusste Annahme unseres gesamten Seins. Wenn ein Teil unseres Wesens besondere Aufmerksamkeit braucht, kommt ihm der andere Teil zu Hilfe. "Vereint stehen wir, getrennt fallen wir." Dies ist das Motto unseres inneren Gehorsams.

Im spirituellen Leben gehen innerer Gehorsam und Selbstdisziplin Hand in Hand; sie sind untrennbar. Wenn wir unser Leben disziplinieren, fühlen wir, dass wir uns nicht länger im Tierreich, sondern im Menschenreich aufhalten und gleichzeitig streben wir nach dem Reich Gottes. Dieses Reich Gottes wird zweifellos dämmern. In der Tat sind wir es, die dieses göttliche Reich hier auf Erden erschaffen, wenn wir intensiv streben. Selbstdisziplin führt uns zur Selbst-Entdeckung, die Gott-Entdeckung ist. Auf Gott-Entdeckung folgt Gott-Enthüllung und auf Gott-Enthüllung folgt Gott-Manifestation.

Wir zögern im Leben, wenn wir dem inneren Führer nicht gehorchen. Wir zögern im Leben, wenn wir unser inneres Sein nicht mit Gebet und Meditation nähren. Wann zögern wir? Wir zögern, wenn wir im Verstandeszimmer statt im Herzenszimmer leben. Wenn wir uns im Verstandeszimmer aufhalten, sehen wir einen Tiger vor uns, einen Löwen hinter uns und andere Raubtiere um uns herum. Wir zögern auch, wenn wir - bewusst oder unbewusst - der Dunkelheit die Hand reichen. Wenn wir dem Prinzen der Dunkelheit unsere innere Tür öffnen, zögern wir unaufhörlich. Wenn wir jedoch dem Inneren Piloten gehorchen, sind wir stets fröhlich. Dann hat der Prinz der Dunkelheit keinen Zugang zu uns. Wir zögern auch, wenn wir Gott nicht ganz als unser eigen beanspruchen. Unsere höchste und einzige wahre Wirklichkeit ist Gottes Traum-Boot. Wenn wir aber nicht erkennen, dass Gottes Wirklichkeits-Ufer in uns und für uns ist, dann werden wir zweifellos zögern.

Wenn wir dem Willen unseres Inneren Piloten folgen, werden wir zu keiner Zeit im Leben zögern. Wir müssen wissen, dass in dem Augenblick, in dem ein Sucher dem Inneren Piloten gehorcht, eine wunderschöne Rose im Garten des Herzen Gottes erblüht. Diese Herzens-Rose verströmt einen himmlischen Duft, der das gesamte Erdbewusstsein hebt. Wie kann der Sucher wissen, was der Wille des Inneren Piloten ist? Wie kann er unterscheiden zwischen der Stimme der Seele und der Stimme des Verstandes oder des Vitalen, die ihm unvorstellbare Probleme bereiten kann? Wie wird er das Wirkliche vom Unwirklichen, das Falsche vom Wahren trennen können? Ein aufrichtiger Sucher wird leicht die Stimme der Falschheit und die Stimme der Nichtwirklichkeit entlarven können. Wenn die Stimme will, dass das Ergebnis seiner Anstrengungen ihn zufrieden stellt, dann ist das die Stimme des Unwirklichen. Wenn er, nachdem er der Stimme gehorcht hat, nur dann zufrieden ist, wenn der Sieg dämmert, und er enttäuscht ist, wenn der Erfolg ausbleibt, dann wird er wissen, dass dies die falsche Stimme ist. Die richtige, göttliche Stimme, die Stimme seiner Seele, wird ihn einzig dazu inspirieren, selbstlos zu handeln und das Richtige zu tun.

In der Bibel Indiens, der Bhagavad Gita, sagt Krishna zu seinem Lieblingsschüler: "Du hast das Recht, zu handeln, aber kein Recht auf die Früchte deiner Handlung." Eine göttllich ausgeführte Tat ist der höchste Sieg. Das Ergebnis kann die Form des Erfolges oder des Misserfolges annehmen. Wenn ein Kind krabbeln lernt, fühlt es, dass es einen ausserordentlichen Erfolg errungen hat. Aber sobald es richtig laufen gelernt hat, fühlt es, dass die Errungenschaft von gestern äusserst unbedeutend war. Der Erfolg von heute ist niemals genug. Morgen werden wir versuchen, einen Erfolg zu erzielen, der uns mehr zufrieden stellt. Wir glauben, etwas zu wollen, das unser unmittelbares Bedürfnis befriedigt. Aber wenn es um kontinuierlichen Fortschritt geht, ist unser unmittelbares Bedürfnis auch ein ewiges Bedürfnis. Unser ewiges Bedürfnis ist Fortschritt. Fortschritt ist die stets fruchtbare, sich ewig transzendierende Erfüllung unseres ewigen Bedürfnisses. Erfolg heißt, dem Menschlichen in uns zu gefallen, aber wenn wir auf der Seite des Fortschritts sind, erhalten wir unermessliche göttliche Zufriedenheit. Wir beobachten, wie das Wachstum eines Baumes voranschreitet. Ein Same geht auf und wächst zu einer winzigen Pflanze heran. Allmählich wird aus ihr ein riesiger Banyan-Baum mit Hunderten von Zweigen und Tausenden von Blättern, der zahllosen Menschen Schutz bieten kann. Wenn wir das Leben als Lied allmählichen Fortschritts sehen, dann ist das Leben dauerhafte Zufriedenheit.

Innerer Gehorsam ist Verantwortung und Pflicht. Wenn wir die Verantwortung mit unserem unstrebsamen menschlichen Bewusstsein betrachten, scheint sie, eine unerträglich schwere Last zu sein, die wir schultern müssen. Aber wenn wir ein spirituelles Leben führen, betrachten wir Verantwortung als göttliche Gelegenheit. Je mehr Verantwortung wir tragen, umso mehr sind wir in der Lage, sowohl das himmlische Bewusstsein, als auch das Erdbewusstsein zufrieden zu stellen. Verantwortung ist unsere unmittelbare Notwendigkeit. Sie ist die Notwendigkeit unserer Seele, die Notwendigkeit des Wirklichen in uns, die Notwendigkeit des Idealen in uns und die Notwendigkeit des sich ewig Transzendierenden in uns.

Ein aufrichtiger Sucher fühlt, dass seine innere und äussere Notwendigkeit ihn dazu bewegt haben, nach Gott zu schreien, um mit Gottes unendlichem Licht, Seiner unendlichen Wahrheit, Seinem unendlichen Frieden und Seiner unendlichen Wonne untrennbar eins zu werden. Er fühlt zudem, dass Gottes Notwendigkeit und Gottes Göttlichkeit unaufhörlich seiner Existenz bedürfen. Gottes Göttlichkeit braucht ihn zur Gott-Verwirklichung, und Gottes Notwendigkeit braucht ihn zur Gott-Manifestation. Die Notwendigkeit basiert auf gegenseitiger Verantwortung. Der Sohn hat dem Vater das feierliche Versprechen gegeben, dass er immer wieder in die Weltarena eintreten wird, um Ihn zu verwirklichen und zu manifestieren. Der Vater hat dem Sohn das feierliche Versprechen gegeben, dass Er in und durch ihn Seinen unendlichen Frieden, Sein Licht und Seine Wonne manifestieren wird.

Ein aufrichtiger und gehorsamer Sucher fühlt, dass das Begierde-Leben etwas Gefährliches ist. Es macht seine innere Kraft und seine innere Verwirklichung unentwegt zunichte. Wenn er wahrhaft aufrichtig, wahrhaft demütig und wahrhaft gehorsam wird, fühlt er, dass sein Strebsamkeits-Leben ihn unaufhörlich vom tierischen Leben und vom Begierde-Leben fern hält. Jeder Mensch lebt zuerst das Begierde-Leben, dann tritt er in das Strebsamkeits-Leben und am Ende in das Leben der Verwirklichung ein. Wenn er das Leben der Verwirklichung lebt, erkennt er schliesslich, dass sein tierisches Leben und sein Leben der Begierde einen bestimmten Zweck erfüllten, sie jedoch nur Stadien in der allmählichen, steten Evolution seiner Seele waren.

Das Strebsamkeits-Leben ist das Leben inneren Gehorsams. Wenn wir äusserlich jemandem gehorchen - und sei es aus Angst - gewinnen wir etwas. Wenn wir aber innerlich jemandem gehorchen, weil er göttlich ist, dann wachsen wir in sein getreues Ebenbild, in seine eigene Göttlichkeit. Wenn wir dem Inneren Piloten unseren inneren und äusseren Gehorsam anerbieten, sagt uns unsere erste Erfahrung, dass wir auf der Erde sind und unser Vater im Himmel ist. Unsere zweite Erfahrung sagt uns, dass wir dort sind, wo unser Vater ist und unser Vater dort ist, wo wir sind. Unsere dritte und letztendliche Erfahrung ist, dass - gleich, wo Er ist oder wo wir sind - unser einziger Wunsch ist, dass Sein Wille geschehe. Mag Er im Himmel oder Er in der Hölle sein. Unser einziges Gebet zum ewig mitleidsvollen Vater ist: "Dein Wille geschehe." Das ist die höchste Vollkommenheit, die sich auf die Schönheit des inneren Gehorsams gründet.