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Gottes Mitleid

Gottes reinstes Mitleid
ist des Menschen Herzschlag.
Des Menschen sichere Wandlung
ist Gottes Herzschlag.


Mitleid ist Gottes unermessliche Anteilnahme für die Menschheit. Mitleid ist süß, wenn wir es unseren bedürftigen Mitmenschen entgegenbringen. Mitleid ist süßer, wenn es uns jemand in Zeiten unserer Not entgegenbringt. Am süßesten jedoch ist es, wenn wir begreifen, dass wir aufgrund von Gottes Mitleid unser Versprechen an den Himmel und an die Erde erfüllen können. Unser Versprechen an den Himmel ist es, unsere göttlichen Eigenschaften hier auf Erden zum Vorschein zu bringen. Unser Versprechen an die Erde ist es, alle unsere göttlichen Fähigkeiten zu manifestieren, damit Mutter Erde von ihnen Gebrauch machen kann.
Wir fühlen, dass unsere spirituelle Reise beschleunigt wird, wenn wir Gottes erleuchtendes Mitleid empfangen können. Aber wie können wir das erreichen? Einfach indem wir uns als kleines Kind fühlen, als kleines, göttliches Kind. Wenn ein Kind schreit, kommt seine Mutter, wo immer sie sich gerade befindet, um es zu trösten, denn es schenkt ihr Freude und Befriedigung, die Bedürfnisse ihres Kindes zu erfüllen. Genauso kommt Gott mit Seinem Mitleid zu uns herab, wenn wir seelenvoll danach rufen.
Ein Kind schreit hilflos, weil es fühlt, dass es ohne Hilfe und Führung seiner Mutter nichts tun kann. Das spirituelle Kind jedoch schreit nicht aus einem Gefühl der Hilflosigkeit heraus. Es weiß um die Existenz eines Ursprunges, einer Quelle, und diese ist allwissend, allmächtig und allgegenwärtig. Kommt unser Schrei aus tiefster Seele, dann erhalten wir einen freien Zugang zu dieser Quelle. So schreit der Sucher in uns, das göttliche Kind, nicht auf hilflose, sondern auf seelenvolle Weise.
Mitleid möchte in uns immer wirken, aber häufig widersetzen wir uns ihm in unserer Unwissenheit bewusst oder unbewusst, selbst nachdem wir begonnen haben, es herbei zu rufen. Wenn uns im gewöhnlichen Leben jemand aus seiner Güte heraus etwas geben möchte, wir es aber nicht annehmen wollen, wird diese Person ihr Geschenk sofort wieder zurückziehen, da sie meint, dass wir es nicht verdienen. Gott hingegen zieht Sein Mitleid niemals von uns zurück; im Gegenteil, Er wird danach nur noch mehr versuchen, uns Sein göttliches, bedingungsloses Mitleid zu schenken.
Mitleid ist eine Kraft, eine erleuchtende Kraft. Bleiben wir jedoch wirklich starrsinnig und verschmähen weiterhin erbarmungslos und gänzlich Sein Mitleid, muss Sich Gott manchmal auf die Kraft Seiner Geduld stützen. Er weiß, dass Er die Ewigkeit zur Verfügung hat und dass wir im Laufe unserer Entwicklung eines Tages fähig sein werden, Sein Mitleid zu empfangen. So ist Er nicht ratlos, wenn wir Sein Mitleid heute weder hingebungsvoll noch dankbar empfangen können. Er wird uns morgen wieder eine neue Gelegenheit geben und in naher oder ferner Zukunft werden wir Sein Mitleid annehmen müssen, denn nur so kann unser Wesen verwandelt werden. Gott zieht Sich also nicht zurück; Er macht nur von einer anderen Kraft Gebrauch, die wir Geduld nennen.


Der Mensch wird von der
Versuchung ergriffen;
Gott wird von
Mitleid ergriffen.
Das ist Gottes und des Menschen
alte Geschichte.


Gottes größtes Geschenk an die Menschheit ist Mitleid; des Menschen größtes Geschenk an Gott ist Selbsthingabe. Wenn sich der Mensch Gott seelenvoll und bedingungslos hingibt und freudig Seinem Willen überantwortet, so werden Gottes Fähigkeiten, Gottes Wirklichkeit und Gottes Unendlichkeit sein Eigen. Mitleid ist Gottes Magnet und Selbsthingabe des Suchers Magnet. Wendet Gott Sein Mitleid an, so zieht es uns wie ein Magnet von oben zum Höchsten hinauf; und gebrauchen wir unsere Selbsthingabe, so zieht dieser Magnet Gott augenblicklich zu uns herab und Er wird zu unserem Lebensatem. Wirken unser Magnet und Gottes Magnet also zusammen, so schlägt die Stunde Gottes in unserem Leben des spirituellen Strebens und der Selbstwidmung.


Besitzt du
den aufrichtigen Mut,
offen zuzugeben, dass du
völlig verloren bist,
dann besitzt Gott das
uneingeschränkte Mitleid,
dir den Weg zu deinem
Erfüllungs-Ziel zu weisen.


Ist Gottes Mitleid dasselbe wie Seine Liebe?

Sri Chinmoy: Gottes Liebe ist für jedermann. Sie ist wie die Sonne. Um göttliche Liebe zu empfangen, muss man nur das Fenster seines Herzens geöffnet halten. Wenn Gottes Liebe persönlich und vertraulich wird, nennt man sie Mitleid oder Erbarmen. Dieses Mitleid ist das mächtigste und bezeichnendste Wesensmerkmal des Supreme.
Gottes Mitleid ist für die wenigen Auserwählten. Es ist einem Magneten gleich, der den emporstrebenden Sucher zu seinem Ziel zieht. Es ist eine mächtige Kraft, die ihn ständig lenkt, schiebt und zieht, damit er auf dem Pfad der Selbsterkenntnis nicht zu Fall kommt. Gottes Liebe tröstet den Sucher und hilft ihm; schläft er jedoch ein, weckt sie ihn weder unsanft auf noch zwingt sie ihn, seinen Weg fortzusetzen.
Gottes Mitleid unterscheidet sich von menschlichem Mitleid. Wir mögen mit jemandem auf menschliche Art Erbarmen haben und Mitgefühl empfinden, doch hat dieses nicht die Kraft, diesen Menschen zu ändern und ihn zu veranlassen, von der Unwissenheit zum Licht zu laufen. Gottes Mitleid hingegen hat die Macht, den Sucher zu verändern und zu verwandeln und ihn davor zu bewahren, im spirituellen Leben gröbere Fehler zu begehen. Liebe kann sogar mit der Unwissenheit zusammen leben, nicht aber Mitleid. Mitleid muss Erfolg bringen, andernfalls kann es zurückgezogen werden. Einige Sekunden, Minuten oder auch Jahre kann es an einem Ort oder bei jemandem bleiben, aber es muss der höchsten Autorität, dem Supreme, berichten, ob es erfolgreich war oder nicht. Vielleicht kommt der Zeitpunkt, wo die höchste Autorität bestimmt: „Es ist nutzlos. Komm zurück!“ Dann muss das Mitleid zum Supreme zurückkehren.


Noch bevor ich wusste,
wer Gott ist,
begann Gott mein Leben
in Seinen Mitleidsfarben auszumalen.


Der Supreme ist allwissend, allmächtig und allgegenwärtig. Er besitzt verschiedene Kräfte, doch Seine größte Kraft ist Seine Gnade. Schenkt Gott einem Menschen Seine Gnade, dann schenkt Er ihm zugleich Seinen eigenen Lebensatem, denn der Supreme kann niemals von Seiner Gnade getrennt werden. Wann immer wir an den Supreme denken und dabei fühlen, dass wir uns Ihm über Seine Gnade nähern, werden wir Ihn sehr leicht in uns aufnehmen können.
Göttliche Gnade strömt unaufhörlich auf uns herab. Diejenigen, die aufrichtig emporstreben, sind sich dessen bewusst, doch diejenigen, die nicht streben, halten ihre Herzenstüre ständig geschlossen. Wenn wir fühlen, dass Gott Gnade ist, werden wir beobachten können, dass Seine Eigenschaften wie Frieden, Licht und Seligkeit, die Er in grenzenlosem Maße besitzt, bereits in uns eingehen, beständig in und durch uns fließen und Teil unseres inneren und äußeren Lebens werden. Wir müssen dem Fluss der Gnade nur erlauben, uns zur Quelle, dem Supreme, zu tragen.


Gottes Gnade ist wie die Sonnenstrahlen. Die Sonne ist immer da, aber was tun wir? Wir stehen spät auf. Statt um halb sechs oder sechs stehen wir um acht oder neun Uhr auf und versäumen den Segen der Morgensonne. Und wenn wir dann aufstehen, lassen wir alle Türen und Fensterläden geschlossen, sodass keine Sonnenstrahlen in unser Zimmer dringen können.
Genauso kommt auch Gottes Gnade immerzu herab, aber häufig lassen wir diese Gnade nicht an uns heran. Wir errichten Barrieren zwischen Gottes Gnade und unserer eigenen Unwissenheit. Nur wenn wir unsere Herzenstür weit geöffnet halten, kann Gottes Licht in unser Leben kommen. Gottes Licht bedeutet Gottes Gnade. Es gibt keinen Unterschied zwischen Gottes Gnade und Seinem Mitleidslicht.
Jeden Tag müssen wir unser inneres Gefäß leeren, um es mit Gottes Frieden, Licht und Seligkeit zu füllen. Wir müssen uns bewusst machen, dass wir ständig von Gottes Licht umgeben sind, welches nur allzu bereit ist, uns zu erleuchten. Nur dann werden wir von Gottes Gnade Gebrauch machen können. Aber auch wenn wir dies verabsäumen, müssen wir nicht verzweifeln. Heute haben wir die Sonne nicht in unser Zimmer gelassen, aber morgen wird die Sonne erneut scheinen. Selbst wenn wir Gottes Gnade heute aus Unwissenheit den Zugang zu uns verwehrt haben – morgen werden wir sicherlich bereit sein, Gottes Licht hereinzulassen.


Was macht Gottes Mitleid, wenn wir uns Seiner Gnade widersetzen?

Sri Chinmoy: Mitleid und Gnade sind ein und dasselbe, doch Mitleid hat viel mehr Intensität. Wenn Gnade große Intensität besitzt, nennt man sie Mitleid. Überall gibt es Wasser. Gnade ist wie Wasser, aber Mitleid ist wie ein heftiger Regenguss. Das ist der Unterschied zwischen Mitleid und Gnade.
Widersetzt sich ein Mensch Gottes Mitleid, so wartet Gott entweder auf unbestimmte Zeit und vertraut auf die Kraft Seiner Geduld oder aber Er setzt noch mehr Mitleid ein. In Seinem Fall besitzt Er es in unbegrenztem Maße. Er nimmt keine Niederlage hin. Wenn wir uns Seinem Mitleid entgegen stellen, versucht Er uns entweder mit noch mehr Mitleid zu bezwingen oder Er erlaubt uns, weitere zehn, zwanzig, fünfzig oder hundert Jahre in unserer Unwissenheit dahinzuleben. Er hat ja ewig Zeit.
Es liegt an Ihm, ob Er uns zwingen will, Sein Licht auf andere Weise anzunehmen. Aber das ist kein Zwang im menschlichen Sinn. Sein Zwingen bedeutet, dass Er nur noch mehr von der Mitleidskraft einsetzt, die Er besitzt und die Er ist. Er gebraucht noch mehr von Seinem grenzenlosen Mitleid, um unsere Unwissenheit niederzuringen. Stößt Er dabei jedoch auf gewaltigen Widerstand, ändert Er vielleicht Seine Meinung und sagt: „Wenn er unbedingt schlafen möchte, so lassen wir ihn eben noch weitere hundert Jahre schlafen. Es eilt ja nicht.“
Gott würde Sein Mitleid niemals für immer zurücknehmen, wie sehr wir uns diesem auch widersetzen mögen. Wir verzögern damit nur unseren eigenen Fortschritt, unser Schreiten nach vorne, oben und innen; denn Gottes Mitleidskraft ist Sein Magnet, der uns an Sein Herz heranzieht, welches von Licht und Seligkeit überflutet ist.


Das bisschen Leiden
meines Herzens
ist lächerlich
im Vergleich zur Mitleidsflut,
die von oben herabströmt,
um mich nicht nur zu trösten,
sondern auch zu erleuchten
und erfüllen.


Kann Gottes Gnade das Schicksal verändern?

Sri Chinmoy: Das Schicksal kann und muss geändert werden. Dafür sind Gottes Gnade und persönliche Bemühungen notwendig. Manche Sucher meinen: „Wenn ich mich um Gottes Gnade kümmere, warum sollte ich dann noch eigene Anstrengungen unternehmen?“ Aber da irren sie sich. Persönliche Bemühung wird Gottes herabströmender Gnade niemals im Wege stehen, sondern ihr Herabkommen nur noch beschleunigen.


Gott kann uns alles geben, was Er möchte, sogar ohne einen Funken von Anstrengung unsererseits. Aber Gott sagt: „Es ist zu deiner eigenen Erfüllung, dass ich dich bitte, dieses kleine bisschen an persönlicher Bemühung aufzubringen.“ Leisten wir diesen Einsatz, so wird unser Leben mit göttlichem Stolz erfüllt sein und wir können sagen: „Schau, was ich für Gott getan habe!“ Unser bewusstes Einssein mit Gott, der unendlich und ewig unsterblich ist, bewegt uns dazu, etwas für unseren Liebsten zu tun anstatt für unser Ego.
Wenn Gott unsere aufrichtigen Bemühungen sieht, wird Er entzückt sein. Warum? Weil Er der Welt verkünden kann: „Mein Kind, mein auserwähltes Instrument, hat dieses und jenes für mich getan.“ Durch eigene Bemühung können wir unserem Erdendasein einen Sinn geben und Gott zugleich stolz auf uns machen.
Letztlich müssen unsere persönlichen Bemühungen zu einer dynamischen Selbsthingabe werden. Bringen wir die Früchte unseres spirituellen Strebens, unserer inneren Sehnsucht, Gott dar, so nennt man das wahre Selbsthingabe. Wenn wir Gott nichts anzubieten haben und nur regungslos zu Seinen Füßen liegen, aber erwarten, dass Er für uns, in uns und durch uns arbeiten wird, so ist das falsch. Gott will keinen untätigen Körper, keine tote Seele. Er wünscht Sich jemanden, der tatkräftig, dynamisch und strebsam ist; jemanden, der Kraft tanken möchte, um für Gott etwas tun zu können; jemanden, der Gott verwirklichen möchte, um alle göttlichen Eigenschaften hier auf Erden zu manifestieren.
Selbsthingabe ist unsere höchste Errungenschaft. Es gibt keinen Unterschied zwischen Gottes Gnade und unserer bedingungslosen Selbsthingabe. Gottes Gnade und unsere bedingungslose Selbsthingabe sind wie die Vorder- und Rückseite derselben Münze. Würde uns Gott nicht diese Art von Gnade zuteil werden lassen, wären wir nicht zu bedingungsloser Selbsthingabe fähig. Gottes Gnade zu empfangen ist eine wirkliche Errungenschaft, genauso wie bedingungslose Selbsthingabe.


Wie kann ich wissen, ob ich etwas aus eigener Kraft oder durch Gottes Gnade geschafft habe?

Sri Chinmoy: Du musst wissen, dass Gnade etwas ist, das wir niemals begreifen können und begreifen werden, solange wir Gott nicht verwirklicht haben. Auch eigene Anstrengung ist Gottes Gnade. Es gibt zahllose Geschichten über Sucher, die davon überzeugt waren, alles aus eigener Anstrengung vollbracht zu haben, nur um später zu erkennen, dass alles Gottes Gnade war. Solange wir uns Gottes beständiger Gnade nicht bewusst sind, müssen wir mit persönlichen Bemühungen voranschreiten.
Gott wünscht Sich schon lange sehnsüchtig, dass wir das Meer der Unwissenheit endlich hinter uns lassen. Gottes Gnade ist für alles verantwortlich, aber bevor wir dies wirklich fühlen, ist es immer ratsam, bewusste Anstrengungen zu unternehmen. Andernfalls werden wir niemals wissen können, was Gottes Gnade ist. Wenn wir dann die höchste Wahrheit verwirklicht haben, werden wir erkennen, dass unser persönliches Bemühen nichts anderes war als Gottes versteckte Gnade.


Ohne die Macht der Gnade
bleibt alles unerreichbar.
Mit der Macht der Gnade
ist alles leicht erreichbar.


Es gibt einen bestimmten Zeitpunkt, an dem Gott unser Bewusstsein entflammen wird, ob wir Ihm nun vertrauen oder nicht. Er wartet auf diese auserwählte Stunde und kommt dann, um uns zu geben, was Er geben will. Aber das heißt nicht, dass wir nicht emporstreben sollen und in der Welt süßen Schlummers verweilen, ohne persönlichen Einsatz zu leisten. Nein! Wie ein braver Bauer müssen wir das Feld regelmäßig mit unserer aufrichtigen Hingabe bestellen, und nachdem wir unser Werk vollbracht haben, überlassen wir es Gott, wann Er uns die reiche Ernte der Verwirklichung schenken möchte.


Wenn du willst,
kannst du beobachten,
wie die Sonne über deinen
gestrigen Fehlschlägen untergeht.
Doch du musst beobachten,
wie die Sonne über deinen
heutigen entschlossenen Bemühungen
aufgeht.