Gott ist überall, doch wenn wir Ihn nicht in unseren Herzen sehen und fühlen, werden wir Ihn nirgendwo sehen können. Zuerst müssen wir Ihn in uns sehen und zu Ihm in unseren Herzen sprechen. Nur dann werden wir fähig sein, Gott zu erkennen und zu Gott zu sprechen.
Sri Chinmoy: Wir leben in der Unwissenheit. Darum glauben wir, Gott sei irgendwo anders. Wenn wir jedoch tief nach innen tauchen und das Höchste in uns selbst verwirklichen, werden wir erkennen, dass unser eigenes Bewusstsein eins ist mit Gottes Bewusstsein. Im Augenblick wird ein gewöhnlicher Mensch nicht wagen zu behaupten, er und Gott seien eins, da jeder um die Kleinheit und Begrenztheit seines Bewusstseins weiß. Doch als Christus sagte: „Ich und mein Vater sind eins“, war er sich der Tatsache voll bewusst, dass sein Bewusstsein und Gottes Bewusstsein vollständig eins waren.
Wenn wir den Supreme bewusst verkörpern und in jedem Moment unseres irdischen Daseins erfüllen und manifestieren wollen, müssen wir seelenvolle Tränen vergießen. Wenn ein Kind weint, eilt die Mutter sofort herbei. In gleicher Weise eilt auch unser ewiger Vater sofort herbei, um uns zu erleuchten und ans goldene Ufer des Jenseits zu tragen, wenn wir aus tiefstem Herzen nach Ihm rufen.
Die Stimme der Wahrheit
wird nur dann zu uns sprechen,
wenn unser Herz
zu einem heiligen Kelch
der Empfänglichkeit wird.
Wie kann ich lernen, mit Gott zu sprechen?
Sri Chinmoy: Gott ist bereit, mit dir zu sprechen, aber du schenkst Ihm keine Beachtung, weil du so verliebt in den Klang deiner eigenen Stimme bist. Wenn du anfangen kannst zu spüren, dass du den Klang deiner Stimme ohnehin schon Millionen Male gehört hast und dass du nun eine viel bedeutungsvollere und fruchtbringendere Stimme hören willst, dann wirst du Gottes Stimme sehr deutlich vernehmen.
Doch zwischen Hören und Zuhören besteht ein großer Unterschied. Du kannst das Göttliche in mir nun hören, aber vielleicht hörst du Ihm nicht zu. Vielleicht wendest du das Gehörte in deinem Alltag auch nicht an. Wenn du hörst, was jemand sagt, ist es vielleicht nicht einmal eine Sekunde lang für dich wichtig. Hörst du aber wirklich zu, dann werden sich die Worte in deinem Herzen, in deinem aufstrebenden Wesen einprägen. So wird sich diese göttliche Botschaft spontan in deinen inneren und äußeren Aktivitäten manifestieren. Wenn du lernen möchtest, mit Gott zu sprechen, musst du Gott erlauben, zu dir zu sprechen, und aufhören, die ganze Zeit selbst zu sprechen. Spricht Gott dann zu dir, musst du zuhören und Gottes göttliche Botschaft in deinem Alltag anwenden.
Gott hört zu. Sprich leise.
Gott hört zu. Sprich mit Hingabe.
Glaube mir, Gott kann und wird
das Sehnen deines Herzens
nicht überhören.
Seine Mittleids-Vollkommenheit
hat bereits den allerersten
schwachen Ruf deines Einsseinsherzens
vernommen.
Gott hört zu.
Sprich einfach leise und mit Hingabe.
Was verstehen Sie unter Meditation?
Sri Chinmoy: Meditation ist die Sprache Gottes. Wenn wir Gottes Willen in unserem Leben erkennen wollen, wenn wir wollen, dass Gott uns leitet, formt und Sich in und durch uns erfüllt, dann ist Meditation die Sprache, derer wir uns bedienen müssen.
Meditation heißt nicht nur, fünf oder zehn Minuten lang still dazusitzen. Sie bedarf einer bewussten Anstrengung. Der Verstand muss ruhig und still gemacht werden. Gleichzeitig jedoch muss er auch wachsam sein, um ablenkende Gedanken und Wünsche fernzuhalten. Wenn wir den Verstand ruhig und still machen können, werden wir fühlen, dass eine neue Schöpfung in uns erwacht. Wenn der Verstand ruhig und frei von Gedanken ist und deine gesamte Existenz zu einem leeren Gefäß wird, dann wird Gott es mit Frieden, Licht und Glückseligkeit füllen.
Nur wenn du deinen Verstand
zum Schweigen bringen kannst
und dein Herz bittest,
mit Gott zu sprechen,
gehst du in die richtige Richtung.
Wenn wir meinen, wir seien es, die zu meditieren versuchen, dann erscheint Meditation kompliziert. Wahre Meditation jedoch wird nicht von uns vollbracht; sie wird von unserem Inneren Lotsen, dem Supreme, vollbracht, der immerzu in und durch uns meditiert. Wir sind nur das Gefäß und wir erlauben Ihm, uns mit Seinem gesamten Bewusstsein zu füllen. Wir beginnen mit unserer eigenen Anstrengung, aber sobald wir tief nach innen gehen, erkennen wir, dass es nicht unser eigenes Bemühen ist, das uns erlaubt zu meditieren. Es ist der Supreme, der in und durch uns mit unserem bewussten Gewahrsein und unserer bewussten Zustimmung meditiert.
Wie kann man lernen zu meditieren?
Sri Chinmoy: Die Seele jedes Menschen hat ihre eigene Art zu meditieren. Meine Art zu meditieren wird dir nicht entsprechen und umgekehrt. Wenn du keinen spirituellen Meister hast, der dich führen kann, musst du tief nach innen tauchen und deine Meditation aus der Tiefe deines Herzens schöpfen.
Hast du hingegen einen Lehrer, der eine verwirklichte Seele ist, so wird dich sein stiller Blick lehren zu meditieren. Ein Meister braucht äußerlich nicht zu erklären, wie man meditiert, oder dir eine spezielle Meditationstechnik beizubringen. Er wird einfach nur auf dich meditieren und dir innerlich zeigen, wie man meditiert. Deine Seele wird in seine Seele eintreten und von seiner Seele lernen.
Was ist das höchste Ziel der Meditation?
Sri Chinmoy: Das höchste Ziel der Meditation besteht darin, unsere bewusste Vereinigung mit Gott herzustellen. Wir alle sind Kinder Gottes, aber im Augenblick sind wir mit Gott nicht bewusst eins. Jemand mag vielleicht an Gott glauben, aber dieser Glaube mag in seinem Leben keine Wirklichkeit darstellen. Er glaubt bloß an Gott, weil irgendein Heiliger, Yogi oder spiritueller Lehrer gesagt hat, dass es einen Gott gibt, oder weil er in spirituellen Büchern über Gott gelesen hat. Aber wenn wir Meditation praktizieren, kommt der Tag, an dem wir bewusstes Einssein mit Gott entwickeln.
Um mit Gott zu kommunizieren,
besitzt der Mensch seine
stille Meditation.
Um mit dem Menschen zu kommunizieren,
besitzt Gott Seinen
dringlichen Frieden.
Was ist der Unterschied zwischen Gebet und Meditation?
Sri Chinmoy: Wenn wir beten, sprechen wir und Gott hört zu. Wenn wir meditieren, lauschen wir und Gott spricht. Wenn wir beten, fühlen wir, dass wir zu Gott nach oben steigen. Wenn wir meditieren, versuchen wir ruhig und still zu werden, um das Herabkommen von Frieden, Licht und Seligkeit zu ermöglichen.
Unser Gebet ist oft mit einem leisen Verlangen nach irgendetwas verbunden. Wir mögen es spirituelles Streben nennen, da wir um etwas Gutes, Göttliches beten. Doch immer liegt das Gefühl darin, ein „göttlicher Bettler“ zu sein. In der Meditation hingegen bitten wir Gott um nichts. Wir treten einfach in das Meer Seiner Wirklichkeit ein. Dann schenkt uns Gott mehr, als wir uns je vorstellen konnten.
Im Gebet haben wir das Gefühl, selbst nichts zu besitzen, während Gott alles besitzt. In der Meditation wissen wir, dass wir alles, was Gott besitzt, entweder auch selbst besitzen oder eines Tages besitzen werden. Wir fühlen, dass wir sind, was immer Gott ist, auch wenn wir unsere Göttlichkeit noch nicht zum Vorschein gebracht haben. Wenn wir beten, bitten wir Gott um das, was wir wollen. Doch wenn wir meditieren, überschüttet uns Gott mit allem, was wir brauchen. Wir erkennen und fühlen, dass uns das gesamte Universum zur Verfügung steht. Himmel und Erde gehören nicht jemand anders; sie sind unsere eigene Wirklichkeit.
Warum sollen wir überhaupt beten, wo der Supreme doch ohnehin alle unsere Bedürfnisse kennt?
Sri Chinmoy: Wenn du etwas durch Gebet bekommst, erhöht es nur seinen Wert in deinem Leben. Du kannst aller Welt verkünden: „Ich habe dafür gebetet; darum habe ich es bekommen.“ Ein Kind ist hungrig und sagt zu seiner Mutter: „Ich habe Hunger.“ Dann gibt die Mutter dem Kind sein Essen und das Kind kann allen sagen: „Seht, wie eng ich mit meiner Mutter verbunden bin.“ Sicher hätte die Mutter dem Kind sein Essen auch von sich aus gegeben. Aber die Tatsache, dass es seine Mutter bittet und sie seine Bitte erhört, schenkt dem Kind Freude. Es gibt ihm die Gewissheit, dass seine Mutter jederzeit für es da ist. Aufgrund seiner inneren Verbundenheit und Nähe zu seiner Mutter kann das Kind sie um Hilfe bitten.
Gott sieht alles, aber wenn wir Ihn um etwas bitten und Er es uns daraufhin gibt, ist es auch unser Verdienst. Allerdings sind wir in diesem Fall von Ihm getrennt. Wir haben das Gefühl, Gott sei irgendwo anders als wir selbst. Dass Er in uns ist, kommt uns dabei gar nicht in den Sinn. Wir verbleiben nicht in unserem höchsten Bewusstsein, wo wir fühlen, dass wir und Gott eins sind. Wenn wir fühlen, dass wir und Gott eins sind, stellt sich die Frage des Gebetes gar nicht, da unsere Bedürfnisse Seine Bedürfnisse sind.
Solange wir das Gefühl haben, von Gott getrennt zu sein und meinen, Ihn um das, was wir brauchen, bitten zu müssen, schenkt uns unser Gebet Freude. Wir meinen: „Nur weil ich gebetet habe, hat mir Gott gegeben, was ich wollte. Deshalb bin ich Seines Mitleids würdig.“ Er hätte es auch bedingungslos getan, aber das hätte uns nicht die gleiche Befriedigung geschenkt.
Wenn sich jemand während eines Rennens sehr anstrengt und es auch zu Ende läuft, wird er sich riesig freuen, wenn ich ihm anschließend einen Pokal überreiche. Er hat große Hindernisse und Schwierigkeiten überwunden und daher das Gefühl, diese Auszeichnung redlich verdient zu haben. Nun kann ich dir den Pokal natürlich auch geben, wenn du das Rennen gar nicht beendet hast, denn der Pokal ist ja da. Aber du wirst dabei keine Befriedigung verspüren, da du ja nichts geleistet hast. Gott kann dir alles bedingungslos geben, aber du wirst damit nicht glücklich sein, während derjenige, der sich anstrengt und alle seine Fähigkeiten ausschöpft, den Preis auch wirklich verdient. In diesem Beispiel ist der Pokal das Erhören unseres Gebetes. Bekommt jemand etwas, nachdem er vorher gebetet und meditiert hat, empfindet er größere Befriedigung, als wenn Gott es ihm bedingungslos gegeben hätte.
Gebet stärkt unsere Vertrautheit mit dem Supreme. Meditation vergrößert unser Einssein mit dem Supreme. Wenn wir vor unserer Meditation einige Minuten lang beten, bauen wir dadurch eine vertrauensvolle Verbindung mit dem Supreme auf. Und wenn wir anschließend zu meditieren beginnen, bauen wir unsere Einsseins-Wirklichkeit mit dem Supreme auf. Wie können wir eins werden, ohne vorher bereits vertraut geworden zu sein? Zuerst müssen wir fühlen, dass wir und Gott enge Freunde sind; dann erst können wir unsere Einsseins-Wirklichkeit mit Gott erkennen und verwirklichen.
Gott erhört
die innigen Gebete eines Suchers
nicht nur mit
größter Bereitwilligkeit,
sondern auch mit
sofortigem Einssein.
Können wir mit unserer Meditation unsere persönlichen Fragen beantworten?
Sri Chinmoy: Jede Frage, die du hast, kann während oder am Ende deiner Meditation beantwortet werden. Wenn du tief nach innen gehst, bekommst du unweigerlich eine Antwort. Doch versuche bitte herauszufinden, ob sie von der Seele, vom Herzen oder vom Verstand kommt. Falls sie vom Herzen oder von der Seele kommt, fühlst du dich erleichtert und verspürst Frieden. Du wirst sehen, dass die Antwort nicht von widersprüchlichen Gedanken gefolgt wird. Kommt sie jedoch nicht vom Herzen oder von der Seele, meldet sich der Verstand zu Wort und versucht die Idee oder Antwort, die du bekommen hast, zu widerlegen.
Gott erhört meine Gebete nur dann,
wenn Er sieht,
dass ich Seine Antwort
nicht missbrauchen werde.
Woran sollte sich ein spiritueller Sucher immer erinnern?
Sri Chinmoy: Ein spiritueller Sucher sollte sich immer vergegenwärtigen, dass er von Gott stammt und für Gott existiert. Im Augenblick mag er erst ein angehender Sucher sein, ein Anfänger; darum kann oder muss Gott für ihn nicht ständig eine lebendige Wirklichkeit sein. Manchmal wird sich der aufstrebende Sucher Gott nur vorstellen können. Manchmal wird er die Anwesenheit Gottes in ihm trotz all seiner Bemühungen nicht spüren können, und manchmal vergisst er vielleicht sogar, dass Gott überhaupt existiert.
Aber er muss sich bewusst sein, dass er einen Ursprung hat, und dieser Ursprung ist Licht, grenzenloses Licht, unendliches Licht. Jahrelang hat er in den Vergnügungen der Unwissenheit geschwelgt. Aber er muss begreifen, dass seine Quelle nicht Unwissenheit ist, sondern Licht und Glückseligkeit. Er lebt für seinen Ursprung und strebt bewusst danach, zu ihm zurückzukehren. Auf diesem Heimweg manifestiert er Gottes Glückseligkeit hier auf Erden. Auch jetzt steckt er noch bis zu einem gewissen Grad in der Unwissenheit, aber er ist immerzu für Gottes Leben und Licht da. Wenn er sich dies immer vergegenwärtigen kann, wird er in seinem Leben ein ständiges Gefühl der Erfüllung verspüren. Er wird in seinem äußeren und inneren Leben Licht fühlen - mehr Licht, reichliches Licht, unendliches Licht.
Wie können wir unser Bedürfnis nach Gott vergrößern?
Sri Chinmoy: Das ist ganz einfach. Beginne einmal damit, deine persönlichen Bedürfnisse zu vermindern. Je mehr du deine persönlichen Bedürfnisse vermindern kannst, desto schneller wird sich dein Bedürfnis nach Gott vergrößern. Wenn du zehn Wünsche hast, reduziere sie auf neun oder acht und einige Zeit später auf sieben. Schnell wirst du bemerken, dass schon allein dadurch deine Liebe zu Gott und dein Bedürfnis nach Gott wächst.
Manchmal täuschen wir uns auch selbst, indem wir uns vormachen, von der Welt nichts zu brauchen, während die Welt uns braucht. Dieses Gefühl ist genauso schlecht. Versuchen wir die Bedürfnisse der Welt zu befriedigen, werden wir schnell bemerken, dass dies schlichtweg unmöglich ist. Heute hat die Welt dieses Bedürfnis und morgen jenes – ihre Kette an Bedürfnissen wird nie abreißen!
Die Welt braucht uns nicht und wir brauchen die Welt als solches auch nicht. Doch wir brauchen den Supreme in der Welt. Du brauchst den Supreme in deinem Vater, in deiner Mutter, in deinen Verwandten und in der Menschheit. Falls du aber das Gefühl hast, die Menschen als solche zu brauchen, so ist das lächerlich. Du wirst von der Menschheit nicht das bekommen, was du brauchst. Um zu deiner Frage zurückzukehren: Dein Bedürfnis nach Gott wird sofort wachsen, wenn dein Bedürfnis, deine Wünsche zu erfüllen, abnimmt. Jedes Mal, wenn du von einem Wunsch ablassen kannst, wirst du merken, dass die Kraft deiner Liebe und dein Bedürfnis nach Gott zunehmen.