Das Leben eines Suchers ist ein Leben inneren Vertrauens, inneren Glaubens. Glaube ist etwas, das uns stets die Botschaft der jenseitigen Welt überbringt. Glaube ist die Grundlage unseres wahren Lebens. Wir müssen Vertrauen zu Gott und zu uns selbst haben. Wenn wir nur an Gott glauben, nicht aber an uns selbst, oder nur an uns selbst glauben, nicht aber an Gott, werden wir nicht weit kommen. Worauf gründet sich unser Glaube? Unser Glaube gründet sich auf unsere glühende Sehnsucht nach Gottes unendlichem Licht und nach Gottes unendlicher Glückseligkeit. Unser Glaube ist Gottes transzendentales Lächeln, das unser Leben verwandelt und uns vom Meer der Unwissenheit zum Meer der Weisheit trägt. Unser innerer Glaube an Gott lässt uns immerzu so schnell wie möglich laufen und veranlasst auch Gott dazu, uns unaufhörlich auf schnellstmögliche Weise entgegen zu kommen. Weil Gott viel schneller ist als wir, bemerken wir, sobald wir einen Schritt auf Gott zugegangen sind, dass uns Gott bereits neunundneunzig Schritte entgegen gekommen ist. So treffen wir aufeinander.
Unser Glaube an Gott stellt sehr oft Bedingungen. Gott hingegen hat immer bedingungsloses Vertrauen in uns. Wir beginnen unsere spirituelle Reise mit fünfzigprozentigem Glauben, indem wir sagen: „Gott, ich werde Dir dieses geben; dafür kannst Du mir dann jenes geben. Ich gebe Dir mein spirituelles Streben und dafür lässt Du mir Deine Segnungen zuteil werden.“
Glaube ist das Auge, das die Zukunft in der Unmittelbarkeit der Gegenwart sieht. Wenn wir Vertrauen in das spirituelle Leben haben, stolpern wir nicht; wir gehen oder marschieren auch nicht – nein! Wir laufen einfach mit größter Geschwindigkeit. Wenn wir bedingungsloses Vertrauen in Gott haben und unbeirrt an unseren Inneren Lotsen und unsere eigene spirituelle Strebsamkeit glauben, dann laufen wir unaufhörlich blitzschnell auf unser vorherbestimmtes Ziel zu.
Unser Glaube an Gott
verschreibt Lösungen
für jedes einzelne
von unserem Verstand geschaffene Problem.
Wir müssen daran glauben, dass wir Gott verwirklichen können, sei es in dieser Inkarnation oder in einer zukünftigen Inkarnation. Wir müssen daran glauben, dass wir unendliches Licht, unendlichen Frieden und unendliche Glückseligkeit besitzen können. Wir müssen an unsere spirituelle Strebsamkeit glauben, an unsere Konzentration, Meditation und Kontemplation. Nur dann werden wir das Ziel der Gottverwirklichung und der Gottwerdung der menschlichen Natur und des Erdbewusstseins erreichen.
Ich betrachte mich als Kind Gottes, spüre aber auch, dass ich das Produkt von Glaubensvorstellungen, Traditionen und verschiedenen anderen Dingen bin. Ist es möglich, sich von all seinen alten Glaubensvorstellungen zu befreien und völlig eins mit Gott zu werden?
Sri Chinmoy: Durch aufrichtiges spirituelles Streben kannst du dich von deinen geistigen oder weltlichen Glaubensvorstellungen, die du in deinem Herzen und deinem Verstand bewahrt hast, lösen. Du kannst sie durch das natürliche Licht deiner Seele ersetzen, das sich als Unausweichlichkeit und unmittelbare Zuversicht ausdrückt. Dieses Gefühl der Unausweichlichkeit und Zuversicht, das auf dem Licht der Seele gründet, kann sich auch in deinem Herzen und in deinem Verstand entwickeln. Dann kannst du die so genannten weltlichen Vorstellungen ablegen, so wie du alte Kleidung ablegst.
Dies ist nicht nur möglich, sondern auch unumgänglich. In Wahrheit ist es für die Gottverwirklichung absolut notwendig. Sonst werden diese alten Anschauungen in der Form von Gesellschaftsordnungen oder traditionellen Moralvorstellungen deinen spirituellen Fortschritt behindern.
In menschlichem Glauben steckt immer auch ein Anteil von Zweifel. Manchmal sind es fünfzig Prozent Glauben und fünfzig Prozent Zweifel, oder gar nur ein Prozent Glauben und neunundneunzig Prozent Zweifel. Wenn du aber in der Seele lebst und von ihrem Licht erleuchtet wirst, dann wird sich nicht nur die Sicherheit der Seele auf dich übertragen, sondern auch ihre Unausweichlichkeit, die vollkommen eins mit Gottes dynamischer Wirklichkeit und dynamischer Vision ist. Dann kannst du alle Glaubensvorstellungen hinter dir lassen und in direkter, ununterbrochener Einsseins-Verbindung mit Gott, der höchsten Wirklichkeit, leben. Wenn du ständig in der Seele lebst und ihre höchsten Wahrheiten ausdrückst, dann werden veraltete Glaubensvorstellungen keinen Platz mehr in deinem Leben haben.
Dein Verstand mag
an den Zweifel gekettet sein,
doch dein Herz wird immer
das Siegesbanner des Glaubens hissen.
Wie denken Sie über einen Atheisten?
Sri Chinmoy: Wir bezeichnen jemanden als Atheisten, der behauptet, es gebe keinen Gott. Wenn er aber so weit geht, wird er bemerken, dass seine negative Aussage auf eine Weise schon wieder zu einer positiven Aussage wird. Im Extremfall wird er sagen, es gebe gar nichts. Was er jedoch als Nichts bezeichnet, ist für uns etwas, und dieses Etwas nennen wir Gott.
Manchmal ist der Himmel von Wolken bedeckt und wir können den Mond und die Sterne nicht mehr sehen. Trotzdem wissen wir, dass wir sie wieder sehen werden, sobald sich die Wolken verzogen haben. Ein Atheist jedoch vermag nicht über die Wolken hinauszusehen und bleibt darin stecken.
Hilft uns der Glaube dabei, unser Bewusstsein zu heben?
Sri Chinmoy: Jeden Tag werden wir von Zweifeln heimgesucht und jeden Tag werden wir vom Glauben ermutigt und gestärkt. Wenn wir von Zweifeln geplagt werden, können wir unser bewusstes Fallen beobachten. Wir vermögen uns nicht auszudehnen. Wir zweifeln an unseren eigenen Fähigkeiten, ja sogar an unserem bloßen Dasein. Wenn Zweifel schon am frühen Morgen in uns eindringen, wird es uns unmöglich, den beengten Raum unseres Verstandes zu verlassen. Werden wir hingegen vom Glauben ermutigt und gestärkt, so haben wir das Gefühl, die ganze Welt gehöre uns.
Jeder Mensch besitzt sowohl Zweifel als auch Glauben. In dem Moment, wo jemand sein Zweifelswerkzeug zur Hand nimmt, hält er alles in seinem Leben für eingeschränkt. Sein Fortschritt kommt zum Stillstand. Bedient er sich hingegen des anderen Werkzeugs, des Glaubens, so fühlt er, dass er zur höchsten Bewusstseinsebene empor fliegt und das Lied des alles transzendierenden Jenseits singt. Jeden Tag können wir uns entweder selbst binden oder selbst befreien. Sobald wir den wuchernden Zweifel in uns nähren, singen wir bewusst oder unbewusst das Lied der Knechtschaft. Wenn wir mit unserem Zweifelsfreund spielen, fallen wir immer wieder aufs Neue vom Wirklichkeitsbaum herunter. Tauchen wir hingegen tief nach innen und bringen den Glauben zum Vorschein, der unser Herz erleuchtet und unsere Seele manifestiert, dann klettern wir den Wirklichkeitsbaum höher und höher hinauf.
Deine Frage lautet:
„Wie weit kann mich der Glaube bringen?“
Meine Antwort lautet:
„Soweit du willst,
um das Unendlichkeits-Lächeln
von Gottes Ewigkeit
zu sehen.“
Wir müssen sowohl in der inneren als auch der äußeren Welt voller Vertrauen sein. Wenn wir unserem inneren wie auch unserem äußeren Leben treu bleiben, spüren wir, wie unsere eigene Göttlichkeit erblüht und sich Blütenblatt für Blütenblatt öffnet. Wenn wir tief in uns gehen, erkennen wir, dass es nur eine Person gibt, die uns für immer und ewig treu bleiben wird, und das ist Gott. Seit Anbeginn der Zeit ist Er uns, Seiner Schöpfung, immer treu gewesen.
Wenn wir ein spirituelles Leben führen, wollen wir natürlich zur Quelle, Gott, gelangen. Wir wollen so groß und göttlich werden wie die Quelle selbst. Falls es unser letztendliches Ziel ist, göttlich oder zu Gott selbst zu werden, dann müssen wir der Welt, in der wir leben, treu bleiben. Wir müssen jeden Moment darauf achten, was wir sagen und was wir denken. Wenn ein guter, reiner Gedanke kommt, sollten wir ihn als Segen betrachten. Diesen Segen müssen wir anschließend der Welt anerbieten. Wenn wir diesen göttlichen Gedanken vertrauensvoll und ruhig der äußeren Welt darbringen können, erfüllen wir Gott in uns.
Wenn wir dem Pfad der Spiritualität folgen, müssen wir unserem Weg hundertprozentig treu bleiben. Falls wir einen spirituellen Meister haben, müssen wir ihm ebenfalls hundertprozentig treu sein. Wir müssen unserem inneren Leben, dem Weg und dem Meister, dem wir folgen, treu bleiben. Der Tag wird jedoch kommen, an dem wir erkennen werden, dass wir unserem inneren Leben, dem Weg und dem Meister nur dann treu sein können, wenn wir uns selbst treu sind.
Was immer wir tun, wir müssen darin das Leben Gottes sehen. Wenn wir essen, müssen wir fühlen, dass Gott das Essen ist. Wenn wir Gott in allem sehen und fühlen können und uns stets mit Ihm eins fühlen, werden wir automatisch auch uns selbst treu sein. Dann werden wir unweigerlich erhalten, wonach wir streben.
Ein Suchender der höchsten Wahrheit
hat nur ein Verlangen:
Sein Verlangen nach einem Gott,
der die Erde befreit
und den Himmel offenbart.