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Wie man den Zweifel besiegt

Ein großer Schriftsteller sage einmal: „Ein Philosoph ist jemand, der zweifelt.“ Wenn ich meine Meinung äußern darf, so sind wir alle Philosophen, denn es gibt niemanden auf der Erde, der nicht wenigstens einmal gezweifelt hat. Die Wahrheit zu studieren, ist eines, ein anderes jedoch, die direkte Schau der höchsten und letzten Wahrheit zu haben. Philosophie führt uns zur Spiritualität, und Spiritualität schenkt uns Gottverwirklichung und Selbstentdeckung. Beginnen wir unsere Reise also mit Philosophie. Sie stellt die erste Sprosse der spirituellen Leiter dar. Die nächste Sprosse ist Spiritualität, und die letzte Sprosse ist Gottverwirklichung.

Zweifel bedeutet die Abwesenheit wirklichen Wissens. Wirkliches Wissen ist wahres Licht, und wahres Licht ist unser untrennbares Einssein mit der Welt.

Glaube und Zweifel sind wie Nordpol und Südpol. Ein gläubiger Mensch wird leider sehr häufig falsch verstanden. Wir nennen einen gläubigen Menschen nur zu schnell einen Fanatiker. Doch damit begehen wir einen bedauerlichen Fehler. Ein Fanatiker hasst den Verstand und ignoriert die Vernunft, während ein gläubiger Mensch – wenn er wirklich Glauben hat – die Vernunft willkommen heißt und den zweifelnden Verstand annimmt. Sein Glaube wird dem zweifelnden Verstand helfen, sich in etwas unendlich Weites, in etwas Ewiges und Unsterbliches zu verwandeln. Auf diese Weise hilft der Glaube dem zweifelnden Verstand.

Ein gläubiger Mensch ist zugleich ein göttlich demütiger Mensch. Je weiter er dank seines Glaubens im spirituellen Leben vorwärts kommt, desto tiefer wächst er in die größte Demut. Zweifel ist unsere selbstauferlegte Unwissenheit. Glaube ist unsere innere Schau der letzten Wahrheit. Glaube ist die Ausdehnung und die Erleuchtung unserer Seele.

Überall um uns sehen wir Dunkelheit. Wir sehen überall um uns Unreinheit und Unvollkommenheit. Wir sind es jedoch auch, die die innere Inspiration, die Strebsamkeit, die Fähigkeit und den diamantenen Willen haben, das Gesicht der Erde zu verwandeln. Wie? Indem wir den Zweifel, unseren Selbst-Zweifel besiegen; indem wir unseren Zweifel an der Menschheit und an Gott besiegen.

Warum zweifeln wir? Wir zweifeln, weil wir mit den anderen, mit dem Rest der Welt kein bewusstes Einssein besitzen. Wenn mich jemand anzweifelt, soll ich ihn dann ebenfalls anzweifeln? Wenn ich ihn anzweifle, segle ich im selben Boot. Doch wenn ich ihm meinen Glauben, meinen innigen Glauben anbiete, kann ich früher oder später, heute oder morgen seine Natur verwandeln.

Was lernen wir von einem Baum? Was geschieht, wenn wir ihn kräftig schütteln? Der Baum schenkt uns unmittelbar seine Blüten, seine Früchte. Schenken wir doch jenen, die uns mit ihren unzähligen Zweifeln quälen, unseren schneeweißen Glauben. Unser schneeweißer Glaube wird ihr Leben voller dunkler und verdunkelnder Zweifels-Wolken verwandeln.

Mit offenen Augen sehen wir, dass die Welt hässlich ist. Mit offenen Ohren hören wir, dass die Welt unrein ist. Wir besitzen jedoch auch einen Verstand. Lassen Sie uns unseren Verstand dazu gebrauchen oder dazu zwingen, im Gegensatz zu den Augen nur das Richtige, das Reine zu sehen. Lassen Sie uns unseren Verstand so gebrauchen, dass er im Gegensatz zu den Ohren nur das Richtige, nur das Göttliche hört. Der Verstand, der entwickelte, bewusste und erleuchtete Verstand kann uns ohne weiteres in die höchsten Bewusstseins-Ebenen bringen.

Wir unterstehen alle den Gesetzen der Mutter Erde. Mutter Erde steht unter den Gesetzen des Himmels. Der Himmel untersteht dem ausdrücklichen Gesetz Gottes. Doch unser Zweifel, unser gehegter und gepflegter Zweifel untersteht seinem eigenen Gesetz. Sein Gesetz ist die Frustration, und in der Frustration wartet die Zerstörung.

Warum zweifeln wir? Weil uns das richtige Verständnis fehlt. Kavir, ein großer spiritueller Heiliger, sagte einmal: „ Hört zu Brüder: Wer liebt, versteht.“

Wenn wir lieben, verstehen wir. Wenn wir die Wahrheit verstehen, haben wir weder die Gelegenheit noch das Bedürfnis, in unserem Leben auch nur einen Hauch von Zweifel zu hegen.

Wir zweifeln an Gott, wie und wann es uns gefällt. Wir zweifeln an Gott, weil wir glauben, Er sei unsichtbar. Wir zweifeln an Ihm, weil wir denken, Er sei unhörbar. Wir zweifeln an Gott, weil wir denken, Er sein unbegreifbar.

Doch was haben wir getan, um Ihn zu sehen? Was haben wir getan, um Ihn zu hören? Was haben wir getan, um ihn zu verstehen? Haben wir jeden Tag seelenvoll gebetet, um Ihn zu sehen? Die Antwort ist nein. Haben wir die Menschheit ergeben geliebt, um Ihn zu hören? Nein. Haben wir der Gottheit in der Menschheit gedient, um Ihn zu verstehen? Nein. Wir haben nicht zu Gott gebetet. Wir haben die Menschheit nicht geliebt. Wir haben der Gottheit in der Menschheit nicht gedient. Und dennoch möchten wir Gott von Angesicht zu Angesicht sehen.

Gott kann nur aufgrund unseres inneren Schreiens gesehen werden, das wir „Strebsamkeit“ oder „die aufsteigende Flamme in uns“ nennen. Jeden Augenblick strebt diese Flamme nach dem Höchsten. Wenn wir innerlich schreien können, wird diese Flamme aufsteigen und hoch, höher, am höchsten klettern, und während sie hinaufsteigt, wird sie die Welt um sich herum erleuchten.

Es gibt ein indisches Sprichwort, das die meisten von Ihnen sicher schon gehört haben: „Ein starker Mann fürchtet sich vor dem Feind, wenn der Feind weit weg ist; doch wenn der Feind sich naht, fürchtet er sich nicht mehr.“ Dazu möchte ich beifügen, dass ein spirituell starker Mensch unendlich viel stärker wird, wenn Zweifel ihn angreifen, indem er das Licht der Seele zum Vorschein bringt. Dieses Licht schenkt ihm die Kraft, gegen die Zweifel zu kämpfen und sie zu besiegen.

Es gibt noch einen anderen Weg, um Zweifel zu besiegen, nämlich das Gefühl, dass wir in diesem Augenblick Kinder sind, Kinder von Gott, und gleichzeitig das Gefühl haben, dass Gott ebenfalls ein göttliches Kind ist, das mit uns spielt. Wir sind menschliche Kinder und Er ist ein göttliches Kind.

Ein Kind zweifelt nicht. Es besitzt innigen Glauben an seine Eltern. Es besitzt innigen Glauben an alle, die es sieht. Wir können in unserem täglichen Leben dieselbe Rolle spielen. Spielen wir doch mit Gott, dem göttlichen Kind. Wenn wir fühlen können, dass wir ein göttliches Kind in uns haben, das mit uns spielt, dann kann es keinen Schatten des Zweifels in unserem Leben geben, ob wir jetzt sprechen, essen oder uns bewegen. Wir sind nicht allein. Es gibt jemanden, der jeden Augenblick mit uns spielt. Wenn wir das wissen und fühlen, kann der Zweifel unseren Verstand nie überschatten.

Wer Gott liebt und Ihn verehrt, fühlt tief in sich, in den innersten Tiefen seines Herzens, eine Insel der Ekstase. Diese Insel kann von den Fluten des Zweifels nie überschwemmt werden, denn durch seine Liebe ist er bereits mit dieser göttlichen Sicherheit eins geworden.

Wenn wir Gott lieben, ist unser Problem vorbei. Wir sehen zwar nicht alle Gott von Angesicht zu Angesicht. Aber wir können uns eine flüchtige Sekunde lang vorstellen, dass Gott mit all seiner Liebe in unseren geliebten Mitmenschen wohnt. Versuchen wir das Gesicht unseres Geliebten in unseren geliebten Mitmenschen zu sehen. Wo Liebe, wahre Liebe ist, da ist alles Einssein. Wo Einssein ist, da kann kein Zweifel, kein verdunkelnder, kein drohender, kein zerstörerischer Zweifel sein.

Um den Zweifel besiegen zu können, müssen wir unsere Natur ständig reinigen. Diese Reinigung muss in unserem physischen Körper stattfinden. Der Körper muss ständig gereinigt werden. Wir reinigen den Körper nicht, indem wir sechs- oder siebenmal am Tag baden. Wir können unseren Körper nur dadurch reinigen, indem wir fühlen, dass es in uns einen lebendigen Altar gibt. Dann müssen wir die lebendige Gottheit des Lichts und der Wahrheit in uns wachsen lassen. So kann der Körper in kurzer Zeit gereinigt werden, und gleichzeitig werden wir in unserem Körper oder unsrem physischen Verstand auch keine Zweifel mehr haben.

Die menschliche Lebenskraft muss die Rolle göttlicher Dynamik spielen. Wenn wir den Zweifel in unserer Lebenskraft besiegen wollen, müssen wir der Lebenskraft in uns anstelle von aggressiver und zerstörerischer Macht diese göttliche Dynamik anbieten.

Der Verstand muss jeden Augenblick mit Klarheit und richtigem Denken überflutet werden. Jeden Augenblick muss er bewusst göttliche Gedanken, göttliche Ideen, göttliche Ideale beherbergen. Dann wir der Zweifel im Verstand nicht mehr atmen können.

Jeden Augenblick müssen wir das Herz seelenvoll machen, damit wir den Zweifel in ihm besiegen können. Das Herz muss die Botschaft der Selbstaufopferung für andere, für den Rest der Welt weitergeben. Wenn ein aufrichtiger Sucher seinen Lebensatem opfert, hat er nicht das Gefühl, er opfere irgendetwas, sondern er dehnt einfach sein eigenes Bewusstsein aus und erfüllt sich selbst hier auf der Erde.

Zweifel kann man besiegen. Man muss ihn besiegen. Wie? Die einzige Antwort ist ständige und seelenvolle Konzentration auf den Verstand, Meditation auf das Herz und Kontemplation auf das ganze Wesen.